Achtsamkeit im Beruf: Definition, Nutzen und praktische Empfehlungen für den Arbeitsalltag
Achtsamkeit – eine praxisnahe Definition
Stellen Sie sich Achtsamkeit bildlich wie einen inneren Anker vor. Inmitten der ständigen Flut an Informationen, Terminen und To-Dos ermöglicht Achtsamkeit einen Moment des Innehaltens. Dabei nehmen Sie den gegenwärtigen Moment bewusst und wertfrei wahr. Anstatt in Gedanken an Vergangenes oder Zukünftiges verloren zu gehen, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit fokussiert auf das Hier und Jetzt: auf Ihre Gedanken, Gefühle, körperliche Empfindungen und auf Ihr Arbeitsumfeld. Es geht darum, präsent zu sein, ohne zu bewerten, ohne zu urteilen.
Der Schlüssel zur Achtsamkeit ist die bewusste Distanzierung: Achtsamkeit hilft, Situationen und unsere Reaktionen darauf voneinander zu trennen. Im Arbeitsalltag sind wir oft gefordert, herausfordernde Aufgaben zu lösen oder Konflikte zu bewältigen. Geraten wir dabei in Stress oder reagieren wir primär emotional, verstricken wir uns leicht in ungünstigen Mustern. Achtsamkeit ermöglicht es, einen Schritt zurückzutreten, die Situation klarer zu erfassen und dann überlegt und konstruktiv zu handeln. Diese Fähigkeit, Situation und emotionale bzw. stressbedingte Reaktionen zu differenzieren, ist wichtig für effektives Arbeiten und gelingende Zusammenarbeit.
Achtsamkeit ähnelt auf den ersten Blick dem Konzept des Flow-Zustands – dem völligen Aufgehen in einer Tätigkeit, bei der trotz hohen Anforderungen alles mühelos zu gelingen scheint. Auch bei Achtsamkeit ist die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment gerichtet. Anders als bei Flow erfolgt jedoch keine Versenkung in eine bestimmte Aufgabe. Vielmehr ist Achtsamkeit eine generelle Haltung des Erlebens, die bewusst hervorgerufen werden kann. Achtsamkeit ist deshalb weniger ein Zustand des Tuns, sondern ein bewusster Zustand des Seins.
Achtsamkeit – Konkreter Nutzen für Führungskräfte und Mitarbeitende
Achtsamkeit ist keine spirituelle Modeerscheinung, sondern ein praktisches Werkzeug, das Führungskräfte wie Mitarbeitende unterstützen kann:
Für Führungskräfte:
- Stärkere Reflexion: Achtsamkeit hilft Führungskräften, ihre eigenen Verhaltensmuster und Reaktionen zu erkennen und zu hinterfragen. Dies ermöglicht ein bewussteres, zielgerichteteres Handeln.
- Mehr Empathie: Die achtsame Wahrnehmung eigener Emotionen schärft das Verständnis für die Gefühlswelt anderer. Dies fördert einen wertschätzenden Umgang im Team und stärkt den Zusammenhalt.
- Klarere Entscheidungen: Achtsamkeit schafft innere Ruhe und ermöglicht es, Entscheidungen aus einem Zustand der Präsenz und Klarheit heraus zu treffen – frei von innerer Unruhe und äußeren Ablenkungen.
- Gesteigerte Inspiration: Achtsamkeit öffnet den Geist für neue Ideen und Perspektiven. Sie schafft den Raum für Kreativität und innovative Lösungsansätze.
- Achtsamkeit als Basis zeitgemäßer Führung: In einer Arbeitswelt, die von Komplexität, Wandel und Unsicherheit geprägt ist, wird Achtsamkeit zu einer immer wichtigeren Führungskompetenz. Sie unterstützt Führungskräfte dabei, authentisch, präsent und empathisch zu agieren und die Herausforderungen moderner Führung – wie Transformation, Agilität und Diversität – erfolgreich zu gestalten.
Für Mitarbeitende:
- Effektives Stressmanagement: Achtsamkeit unterstützt Mitarbeitende dabei, Stressauslöser frühzeitig zu erkennen und gezielt abzubauen. Durch Atemübungen und bewusste Körperwahrnehmung kann Entspannung aktiv herbeigeführt werden.
- Verbesserte Konzentration: Achtsamkeit trainiert die Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu fokussieren und sich weniger von Störungen ablenken zu lassen. Dies steigert die Effizienz und Leistungsfähigkeit.
- Gestärktes Selbstbewusstsein: Achtsamkeit lenkt den Blick auf die eigenen Stärken und Ressourcen. Dies fördert das Selbstvertrauen und die Eigenmotivation.
- Wertschätzende Kommunikation: Achtsamkeit sensibilisiert für die eigene Kommunikation und die der Kolleg:innen. Dies trägt zu einem respektvollen Miteinander bei und hilft, Konflikte zu vermeiden.
Für eine intensivere Beschäftigung mit der Thematik Achtsamkeit finden Sie am Ende dieses Beitrags weiterführende Literaturhinweise.
Klärung kritischer Einwände
Kritische Stimmen halten Achtsamkeit für einen bloßen Trend oder für Esoterik. Hier meine differenzierte Betrachtung:
- Mehr als Esoterik: Achtsamkeit besitzt meditative Aspekte, ihre positiven Effekte im Arbeitskontext sind jedoch wissenschaftlich belegt. Achtsamkeit reduziert Stress und verbessert die Konzentration. Zudem geht nicht darum, einem spirituellen Weg zu folgen. Achtsamkeit hilft, die eigene Wahrnehmung zu schulen und den Umgang mit sich selbst und anderen zu verbessern.
- Mehr als Selbstoptimierung: Bemängelt wird auch, dass Achtsamkeit im betrieblichen Kontext letzlich lediglich der Effizienzsteigerung diene. Eine achtsame(re) Unternehmenskultur zielt jedoch auf ein ausgewogenes Verhältnis von Leistung und Wohlbefinden ab. Achtsamkeit unterstützt Mitarbeitende darin, ihre eigenen Grenzen zu erkennen und selbstfürsorglich mit ihren Ressourcen umzugehen. Es geht nicht um mehr Leistung, sondern um die Schaffung einer gesünderen und wertschätzenden Arbeitsumgebung.
- Aktive Haltung statt Passivität: Achtsamkeit wird fälschlicherweise mit Passivität verbunden. Achtsamkeit ist jedoch ein aktiver Prozess der Selbstwahrnehmung und Reflexion. Dies ermöglicht, bewusster und selbstbestimmter zu handeln, anstatt unreflektiert auf äußere Reize zu reagieren.
Praktische Selbstcoaching-Übungen für mehr Achtsamkeit im Arbeitsalltag
Die volle Wirkung der beiden folgenden Übungen entfaltet sich durch regelmäßiges Praktizieren. Passen Sie die Durchführung gerne so an, dass die Übung optimal zu Ihnen und Ihrem Arbeitskontext passt.
„Präsenz-Check“ vor Meetings:
Nehmen Sie sich 2-3 Minuten vor dem Meeting Zeit für einen Moment der Stille und Achtsamkeit. Suchen Sie nach Möglichkeit einen ruhigen Ort auf.
Setzen Sie sich aufrecht und entspannt hin. Legen Sie die Hände auf Ihren Bauch und spüren Sie bewusst 3-5 tiefe Atemzüge.
Stellen Sie sich folgende Fragen:
- Wie fühle ich mich jetzt – körperlich und mental?
- Was ist mein konkretes Ziel für dieses Meeting?
- Was benötigen meine Mitarbeitenden bzw. Kolleginnen und Kollegen von mir, was benötige ich von ihnen?
Atmen Sie noch einmal tief durch und gehen Sie anschließend fokussiert und kraftvoll in das Meeting.
„Mikropause“ für mehr Achtsamkeit im Berufsalltag:
Planen Sie täglich eine bewusste Auszeit ein.
Idealerweise verlassen Sie dazu Ihren Arbeitsplatz und suchen nach Möglichkeit einen ruhigen Ort auf (z.B. einen leeren Besprechungsraum).
Stellen oder setzen Sie sich bequem hin. Schließen Sie die Augen, wenn Sie möchten. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit für ein paar Minuten auf Ihren Atem, Ihren Körper oder die Geräusche in Ihrer Umgebung. Beginnen Sie mit 8-10 bewussten Atemzügen. Setzen Sie die Übung dann in Ihrem natürlichen Atemrhythmus fort.
Beobachten Sie Gedanken, die dabei auftauchen, wie vorüberziehende Wolken – ohne sie zu bewerten oder an ihnen festzuhalten.
Atmen Sie zum Abschluss noch einmal tief durch.
Kehren Sie erfrischt an Ihren Arbeitsplatz zurück, um wieder energiegeladen und konzentriert weiterzuarbeiten.
Wiederholen Sie diese kurze Übung mehrmals täglich – zum Beispiel vor wichtigen Terminen, nach anstrengenden Gesprächen oder wann immer Sie eine kurze Auszeit benötigen.
Fazit
Achtsamkeit ist mehr als ein Trend. Sie ist eine wissenschaftlich fundierte Kompetenz für die dynamische Arbeitswelt. Regelmäßig praktiziert ermöglicht sie u. a., die Konzentration zu stärken, Stress wirksam zu reduzieren und dadurch effektiver zu arbeiten. Viel Erfolg.
Weiterführende Literatur
Grossman, P., Niemann, L., Schmidt, S., & Walach, H. (2004). Mindfulness-based stress reduction and health benefits: A meta-analysis. Journal of Psychosomatic Research, 57(1), S. 35-43. https://doi.org/10.1016/S0022-3999(03)00573-7
Jansen, P. (2024). Achtsamkeit? Frag doch einfach! Klare Antworten aus erster Hand [Reihe #fragdocheinfach]. München: UVK. https://doi.org/10.36198/9783838561738
Plohr, N. (2023). Warum Achtsamkeit? Coachingimpulse zur (Selbst-)Führung. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42140-3
Von Au, C. & Seidel, A. (2017). Achtsamkeit als grundlegende Führungskompetenz. In von Au, C. (2017): Eigenschaften und Kompetenzen von Führungspersönlichkeiten. Achtsamkeit, Selbstreflexion, Soft Skills und Kompetenzsysteme [Reihe Leadership und angewandte Psychologie]. S. 1-25. Wiesbaden: Springer. https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-13031-2
Veröffentlicht am 29.01.2025 auf www.andreas-dotzauer.de | © 2025 Dotzauer Beratung