Agile Teams: Selbstorganisation, Gruppendruck und ausbalancierte Führung
Agile, selbstorganisierte Teams gelten als Schlüssel zu mehr Innovation und Flexibilität in Unternehmen. Agile Strukturen bergen jedoch auch Herausforderungen, insbesondere durch Druck innerhalb der Teams. Dieser Beitrag beleuchtet die entsprechenden Risiken und stellt Gegenmaßnahmen vor. Basis ist die Studie von Khanagha et al. (2022).
Definition agile Teams
Agile Teams sind selbstorganisierende Einheiten, die durch hohe Autonomie und Verantwortung gekennzeichnet sind. Typischerweise bestehen diese Teams aus 5 bis 9 Mitgliedern, die in kurzen Entwicklungszyklen (“Sprints”) von 2 bis 4 Wochen arbeiten und dabei Methoden wie Scrum anwenden. Sie planen, managen und führen Aufgaben unabhängig aus, um gemeinsame Ziele zu erreichen. Zu den Vorteilen agiler Teams zählen vor allem deren Flexibilität bzw. schnelle Reaktion auf Veränderungen und Kreativität. Dies hilft Unternehmen hinsichtlich Innovation und Wettbewerb.
Die Etablierung agiler Teams erfordert eine bewusste Umgestaltung der Organisationsstruktur. In der Regel gelingt dies Unternehmen durch folgende Schritte:
- Förderung von Selbstmanagement und Autonomie: Teams erhalten die Freiheit, ihre Arbeitsprozesse und -methoden selbst zu gestalten. Dies erfordert u. a. Vertrauen seitens der Führungskräfte und eine klare Kommunikation der Ziele.
- Interdisziplinäre Zusammensetzung: Agile Teams bestehen aus Mitgliedern mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Kenntnissen. Dies fördert kreative Lösungsansätze und umfassende Innovationsprozesse.
- Kontinuierliches Lernen: Durch regelmäßige Meetings mit Feedback und Reflexion können Teams ihre Arbeitsweise weiterentwickeln.
Gefahr des selbst verursachten Gruppendrucks (Peer Pressure)
Mit zunehmender Autonomie und flachen Hierarchien in agilen Teams entsteht häufig ein hohes Maß an Peer Pressure. Dieser soziale Druck innerhalb des Teams führt dazu, dass sich Teammitglieder an gemeinsame Normen und Erwartungen anpassen. Diese Form der informellen Kontrolle kann negative Auswirkungen haben:
- Reduzierte intrinsische Motivation: Der konstante Druck, den Erwartungen der Teammitglieder zu entsprechen, kann die individuelle Motivation absenken.
- Einschränkung von Kreativität und Innovation: Peer Pressure kann divergentes Denken behindern, das für innovative Lösungen unerlässlich ist.
- Selbstzensur: Mitglieder können aus Angst vor Ablehnung oder Kritik neue und unkonventionelle Ideen zurückhalten.
Maßnahmen gegen Peer Pressure
Um die negativen Effekte von Peer Pressure zu mindern, sind gezielte Maßnahmen erforderlich. Aus der Perspektive der Führungskraft ergeben sich folgende zwei grundsätzliche Handlungsstrategien:
- Diagnostische Kontrollen: Führungskräfte setzen klare Ziele und messen Leistungen regelmäßig, um sicherzustellen, dass das Team auf dem richtigen Weg ist. Der Fokus auf Zielerreichung hilft, destruktive Formen insbesondere bei hohem Peer Pressure zu begrenzen.
- Interaktive Kontrollen: Diese Strategie insbesondere bei niedrigem Gruppendruck betont den kontinuierlichen Dialog zwischen Führungskräften und Teams. Durch regelmäßige Gespräche und Diskussionen fördern Führungskräfte eine Kultur des Lernens, Offenheit bzw. Anpassung. Zugleich unterstützen Führungskräfte beim Fokus auf Ziele bei der Stimulation von Kreativität und der Bewältigung von Konflikten.
Exkurs: Qualität des Papers und Generalisierbarkeit
Das Paper von Khanagha et al. (2022) basiert auf einer empirischen Untersuchung in einem multinationalen Telekommunikationsunternehmen. Die umfassende Datenbasis stammt von 97 agilen Software-Entwicklungsteams. Befragt wurden deren Mitglieder, Teamleiter und höhere Führungskräfte. Trotz der wissenschaftlichen bzw. methodischen Qualität gibt es folgende Einschränkungen: Fokus auf ein einzelnes Unternehmen, spezifischer Branchenkontext (Telekommunikation), mögliche kulturelle Besonderheiten. Mit angemessener Vorsicht lassen sich die Erkenntnisse jedoch auch auf Unternehmen in Deutschland übertragen (vgl. unten).
Bewertung und praktische Konsequenzen
Interessanterweise ergeben sich Wechselwirkungen zwischen Gruppendruck und Eingriffen durch Führung. Gruppendruck kann Innovation hemmen, bspw. indem Mitglieder zu gruppenkonformen Verhalten gedrängt werden, was deren Kreativität einschränkt. Gegensteuernde Führung kann ebenfalls ein Hemmnis darstellen. Zu starke Eingriffe schränken die Autonomie und Kreativität des Teams ein.
Es gilt somit, eine Balance zwischen Teamautonomie und notwendiger Steuerung zu finden. Dies gelingt, wenn Führungskräfte adäquat situativ entscheiden bzw. eingreifen, um negative Effekte zu vermeiden und gleichzeitig die Selbstorganisation zu erhalten.
Die in der Studie von Khanagha et al. (2022) untersuchten Handlungsstrategien von Seiten der Führungskraft weisen Parallelen zu etablierten, nicht ausdrücklich erwähnten Führungsstilen auf. Die “diagnostische Kontrolle” ähnelt Aspekten transaktionaler Führung (klare Ziele, Leistungsüberwachung). “Interaktive Kontrolle” hat Gemeinsamkeiten mit transformationaler Führung (Inspiration, Dialog). Die Studie empfiehlt eine Kombination beider Ansätze, angepasst an die jeweilige Situation im Team. Dies entspricht den Erkenntnissen der neueren Führungsforschung, die eine situative Mischung aus transaktionaler und transformationaler Führung als besonders effektiv ansehen.
Ergänzend zu den im Paper untersuchten Führungsstrategien lassen sich auch zwei grundsätzliche Strategien für Teammitglieder ableiten, um Peer Pressure konstruktiv zu begegnen:
- Offene Kommunikation: Teammitglieder sollten ermutigt werden, ihre Ideen frei zu äußern und konstruktives Feedback zu geben, ohne Angst vor negativen Konsequenzen befürchten zu müssen.
- Selbstreflexion und gegenseitige Unterstützung: Dadurch können Teams Gruppendruck aktiv steuern und ein gesundes, innovationsförderliches Arbeitsumfeld schaffen.
Für die betriebliche Personalentwicklung ergeben sich folgende wichtige Implikationen:
- Training der Führungskräfte: Führungskräfte sollten diagnostische und interaktive Aktivitäten anwenden können, um eine Balance zwischen Überwachung und kreativer Freiheit zu gewährleisten.
- Innovationsfreundliche Unternehmenskultur: Durch die Förderung von Dialog und Kreativität lassen sich die negativen Effekte von Peer Pressure reduzieren.
- Unterstützung agiler Teams: Bereitstellung von Ressourcen (Workshops, Zeitfenster für Ideen und Experimente, Technik-Tools, Mentoring etc.), um Teams auch im Umgang mit Peer Pressure zu fördern.
Fazit
Agile Teams bieten Unternehmen zahlreiche Vorteile wie erhöhte Flexibilität und Innovationskraft. Doch Selbstorganisation und flache Hierarchien können zu hohem Peer Pressure führen, der die Innovationsfähigkeit von agilen Teams beeinträchtigt. Die Studie von Khanagha et al. (2022) liefert wertvolle Einblicke in die dynamischen Wechselwirkungen. Agilität in Teams bedeutet Chancen und Risiken. Durch ausbalanciertes situatives Führungsverhalten kann die Arbeits- bzw. Innovationsleistung agiler Teams optimiert werden.
Literatur
Khanagha, S., Volberda, H. W., Alexiou, A. & Annosi, M. C. (2022). Mitigating the dark side of agile teams: Peer pressure, leaders’ control, and the innovative output of agile teams. Journal of Product Innovation Management, 39, S. 334-350. https://doi.org/10.1111/jpim.12589
Veröffentlicht am 14.09.2024 auf www.andreas-dotzauer.de | © 2024 Dotzauer Beratung