Empfehlungen für den Umgang mit geschäftlichen E-Mails
E-Mails sind ein wichtiges Kommunikationsmittel. Ihre Gesamtzahl steigt kontinuierlich. Die Arbeit im Homeoffice fördert ein hohes Mail-Aufkommen. Beschäftigte erhalten durchschnittlich 42 berufliche Mails pro Tag. Für manche ist das belastend. Zwar existieren Empfehlungen für den Umgang mit Mails. Diese zielen jedoch häufig auf eine effektive Bearbeitung und kaum auf psychologische Aspekte ab. Letztere stehen im Mittelpunkt dieses Beitrags.
Studie von Giurge und Bohns (2021): Methodik und praktische Relevanz
Die folgenden Überlegungen basieren auf der Studie „You don’t need to answer right away! Receivers overestimate how quickly senders expect responses to non-urgent work emails“ von Giurge und Bohns (2021). Eigene Erfahrungen und Einschätzungen ergänzen die Darstellung.
Die zentrale Forschungsfrage ist, ob es unterschiedliche Erwartungen hinsichtlich der Geschwindigkeit der Beantwortung von E-Mails zwischen Absender/-in und Empfänger/-in gibt. Giurge und Bohns bezeichnen dies als „Email Urgency Bias“ – also eine verzerrte Wahrnehmung der Dringlichkeit von E-Mails.
Die Forschungsfrage ist deshalb relevant, weil sich unterschiedliche Erwartungen negativ auf die Arbeitsleistung und das Wohlbefinden auswirken und Stress erzeugen können.
Die Autorinnen haben acht experimentelle Studien mit insgesamt 4.004 Teilnehmenden durchgeführt. Es handelt sich dabei nicht um eine Metaanalyse. Diese würde bereits existierende Primärstudien systematisch zusammenfassen. Vielmehr haben die Autorinnen durch Experimente neue Primärdaten erhoben. Die Gründe dafür sind:
E-Mails sind ein wichtiges Kommunikationsmittel im Arbeitsleben. Ein inadäquater Umgang damit kann zu Stress führen. Daher ist zielführend, psychologische Aspekte zu beleuchten.
Im Fokus steht dabei die erwartete Antwortgeschwindigkeit. Schnelligkeit kann mit vermeintlich hohem Engagement gleichgesetzt werden. Diese Annahme kann aber falsch sein. Hinzu kommt, dass die Arbeitswelt zunehmend von ständiger Erreichbarkeit ausgeht. Dies kann die Gesundheit und die Work-Life-Balance beeinträchtigen.
Deshalb hat das Thema Email Urgency Bias eine hohe praktische Relevanz.
Giurge und Bohns dokumentierten ihr Vorgehen transparent und diskutierten mögliche Limitationen der Studien. Dazu gehört, dass die repräsentativen Ergebnisse zum Teil auf Selbsteinschätzungen der Teilnehmenden beruhen.
Hinzu kommt, dass die Teilnehmenden auf speziellen Wegen gewonnen wurden. Dabei handelte es sich um Beschäftigte in Spanien und den USA. Letztere wurden über ein Online-Panel (Prolific Academic) gewonnen. Dieses für wissenschaftliche Zwecke übliche Verfahren lässt vermuten, dass vor allem akademisch qualifizierte (Vollzeit-)Beschäftigte an den Studien teilgenommen haben.
Andere Kommunikationsmedien wie bspw. WhatsApp wurden nicht untersucht. WhatsApp dient ebenfalls zur zeitversetzten schriftlichen Kommunikation. Denkbar ist, dass psychologische Effekte unabhängig vom eingesetzten Medium wirken. Möglich ist aber auch, dass gerade bei der Nutzung von WhatsApp andere Erwartungen vorherrschen, da die Kommunikation informeller und dialogischer geprägt ist. Nachrichten könnten generell als weniger dringlich empfunden werden.
Die gewonnenen Erkenntnisse sind auch für Unternehmen und Mitarbeitende in Deutschland relevant. Auch hier sind E-Mails ein wichtiges Instrument der geschäftlichen Kommunikation. Ständige Erreichbarkeit und die Erwartung schneller Reaktionen sind auch in Deutschland ein Thema. Unzufriedenheit oder erlebter Stress können gesundheitliche Auswirkungen hervorrufen bzw. verstärken.
Theoretische Basis der Studie
Das Paper basiert auf zwei zentralen wissenschaftlichen Theorien. Die „Boundary Theory“ beschäftigt sich mit der individuellen Abgrenzung verschiedener Lebensbereiche, in diesem Fall Arbeit und Privatleben. E-Mails können für die Empfänger eine Art Grenzüberschreitung darstellen. Dies kann auch auf falschen Annahmen beruhen.
Die „Egocentrism Theory“ geht davon aus, dass Menschen dazu neigen, von ihrem eigenen Standpunkt auszugehen. Sender von E-Mails könnten fälschlicherweise erwarten, dass die Empfänger die Erwartungen implizit kennen und entsprechend schnell antworten.
Beide Theorien sind etabliert und bekannt. Beide befassen sich mit der Grenze zwischen Arbeit und Privatleben. Innovativ ist, beide Theorien in dem Paper zu integrieren.
Erkenntnisse für die Arbeitswelt
In erster Linie geht es darum, dass sowohl Absendende als auch Empfangende von E-Mails unterschiedliche Erwartungen hinsichtlich der Reaktion haben können. Insbesondere glauben die Empfänger, dass sie viel schneller antworten müssen, als dies tatsächlich der Fall ist. Diese verzerrte Wahrnehmung tritt vor allem bei E-Mails auf, die außerhalb der normalen Arbeitszeiten verschickt werden. Das Kernproblem ist also, dass die Empfänger die Antwortgeschwindigkeit dringlicher einschätzen, als es die Absender beabsichtigen oder erwarten.
Auf dieser Basis lassen sich vier zentrale Rollen unterscheiden: Die Absendenden der E-Mails, die Empfangenden, die Führungskräfte und – stellvertretend für das Unternehmen – das Personalwesen respektive die Personal-/Organisationsentwicklung.
Die Absender könnten von vornherein angeben, bis wann wie geantwortet werden soll. Dies wird wohl regelmäßig nicht der Fall sein, insbesondere dann nicht, wenn Mails außerhalb der normalen Arbeitszeiten versendet werden. Es verbleiben deshalb drei zentrale Rollen.
Die Empfänger könnten Mails nicht automatisch als dringend einstufen, könnten im Zweifelsfall nachfragen und generell darauf achten, sich nicht selbst unter Druck zu setzen.
Führungskräfte könnten ihren Mitarbeitenden vermitteln, dass E-Mails außerhalb der Arbeitszeit nicht beantwortet werden müssen. Generell könnten sie als Vorbild fungieren, adäquat kommunizieren und darauf hinwirken, dass E-Mails – die zu einer Unterbrechung der aktuellen Arbeitsroutine führen können – nicht sofort beantwortet werden müssen.
Die Personalentwicklung (PE) kann u. a. sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeitende dafür sensibilisieren, dass Email Urgency Bias problematisch sein kann. Zudem kann PE u. a. durch Workshops und durch die Mitwirkung an Richtlinien zum Umgang mit E-Mail und Co. zu einem adäquaten Umgang mit E-Mails beitragen.
Nutzen der Studie für die Arbeitswelt
Die intensivere Auseinandersetzung mit der Mail-Thematik führt zu weniger Stress und mehr Wohlbefinden, insbesondere durch einen realistischeren Umgang mit E-Mails. Weniger fragmentiertes Arbeiten führt zu höherer Produktivität und Motivation. Es bleibt jedoch die Herausforderung, den Kulturwandel von einer „always on“- Mentalität hin zu einem fokussierten und ausgeglichenen Arbeiten erfolgreich zu gestalten. Hilfreich sind dabei Führungskräfte, die mit gutem Beispiel vorangehen und „grenzenlose“ Verfügbarkeit weder erwarten noch belohnen. „Richtlinien“ können Arbeit und Privatleben klarer trennen. Denkbar sind auch technische Vorkehrungen, bspw. auf der Ebene der Mailserver.
Insgesamt erscheint eine Kombination hilfreich: Verhaltensänderungen, regulatorische Anpassungen und ein (führungs-)kultureller Wandel im Unternehmen.
Fazit
Die Studie von Giurge und Bohns (2021) konzentriert sich auf die Thematik Email Urgency Bias. Die theoretische Grundlage bilden zwei etablierte Theorien (Boundary Theory, Egocentrism Theory). Die Ergebnisse der beiden Autoren basieren auf acht experimentellen Studien mit insgesamt 4.004 Teilnehmenden. Im Kern geht es um divergierende Annahmen bzw. Erwartungen, vor allem auf der Seite der Mail-Empfänger. Dies kann zu Stress und Überforderung führen. Verhaltensänderungen, ggf. unterstützt durch organisatorische Maßnahmen, können negative Effekte reduzieren. Führungskräfte sollten an der Gestaltung einer adäquaten Mail-Kommunikation im Unternehmen mitwirken. Human Resources kann entsprechende Informationen bereitstellen und unterstützend u. a. Workshops anbieten. Die Überprüfung der Kommunikationskultur (und entsprechender Richtlinien) kann auch zu einer effektiveren und respektvolleren Zusammenarbeit beitragen. So können vergleichsweise einfache Veränderungen die Arbeitsbedingungen verbessern. Das Paper von Giurge und Bohns liefert dazu eine psychologisch fundierte Grundlage.
Literatur
Bitkom e. V. (Hrsg.) (2023). Berufliche Mail-Postfächer werden immer voller (Presseinformation). https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Berufliche-Mail-Postfaecher-immer-voller (letzter Zugriff 29.07.2023)
Giurge, L. M. & Bohns, V. K. (2021). You don’t need to answer right away! Receivers overestimate how quickly senders expect responses to non-urgent work emails. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 167, 114–128. https://doi.org/10.1016/j.obhdp.2021.08.002
Landes, M., Steiner, E., Utz, T. & Wittmann, R. (2021). Erfolgreich und gesund im Homeoffice arbeiten: Impulse für Mitarbeitende und Teams für eine gelungene Zusammenarbeit. Wiesbaden: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-658-32633-3
The Radicati Group. (2022). Prognose zur Anzahl der Nutzer von E-Mails weltweit in den Jahren 2021 bis 2026 (in Milliarden). Zitiert nach Statista GmbH, https://de.statista.com/statistik/daten/studie/422274/umfrage/prognose-zur-anzahl-der-nutzer-von-e-mails-weltweit/ (letzter Zugriff 29.07.2023)
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