Burn-out verstehen, erkennen und vermeiden
Das Burn-out Syndrom führt häufig zu Krankschreibungen bzw. Fehltagen. Aus Gesprächen mit Mitarbeitenden und Führungskräften weiß ich, dass Erkrankte oft die Schuld bei sich suchen. Und Führungskräfte fühlen sich im Umgang mit Themen wie Stress, Depression oder Burn-out unsicher. Im Folgenden erhalten Sie daher einen Überblick über die Thematik Burn-out im Arbeitskontext.
Burn-out Syndrom: Definition, Symptome, Folgen
Die Bezeichnung Burn-out wird uneinheitlich verwendet. Burn-out ist keine eigenständige Erkrankung, sondern eine ärztliche Zusatzdiagnose. Sie beschreibt eine sich schleichend einstellende emotionale bzw. körperliche Erschöpfung („Ausgebranntsein“). Dieser andauernde Zustand ist Folge verschiedener, meist beruflicher Belastungen. Zentralen Einfluss haben die steigende Menge und Intensität der Arbeit, geringe Anerkennung, Gefühl der mangelnden Kontrolle sowie fehlende Unterstützung.
Zunehmend kommt es zu körperlichen, psychischen, geistigen und sozialen Veränderungen. Typische erste Symptome bzw. Warnzeichen sind verändertes Engagement (z. B. überhöht, reduziert), vermehrte Fehler, Erschöpfungsanzeichen, Reizbarkeit, Rückzug, gesundheitliche Probleme, Fehlzeiten, Suchtmittel-Missbrauch, etc. Typisch ist auch das gemeinsame Auftreten an sich eigenständiger Krankheiten wie Schmerzen (Kopf, Rücken, Herz), Infekte, Tinnitus und Hörsturz, depressive Verstimmung, Ängste und Panikattacken.
Betroffene neigen zunächst zur Verdrängung. Oft reaktivieren sie – aufgrund bestimmter Wertvorstellungen oder innerer Antreiber (z.B. hohe Ansprüche an sich selbst) – sogar ihre letzten Ressourcen. So entsteht eine gefährliche Abwärtsspirale bis hin zu Depression, Zusammenbruch oder Suizid-Tendenzen. Verschärfend wirkt, dass den Betroffenen sozialer Rückhalt fehlt und oft Mehrfachbelastungen vorliegen. Neben massiven gesundheitlichen Schäden verursacht Burn-out daher auch enorme betriebswirtschaftliche bzw. gesamtwirtschaftliche Kosten.
Corona-Pandemie wirkt verstärkend
Gemäß der Bundespsychotherapeutenkammer respektive des Gesundheitsreports der Techniker Krankenkasse 2021 wirkt die Corona Pandemie (zusätzlich) psychisch belastend. Dies wird auch bei der Arbeit im Homeoffice spürbar. Der Trend der letzten Jahre setzt sich fort: Betriebliche Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen nehmen weiter zu.
Daneben gibt es weitere Gründe für eine Zunahme:
- gestiegene Sensibilität bei den Ärzten durch Fortschritte bei der Diagnose
- größere Offenheit der Betroffenen durch wachsende gesellschaftliche Aufmerksamkeit bzw. Akzeptanz
- Verlagerung von Diagnosen in Richtung psychischer Störungen bzw. intensiveres Hinterfragen diffuser somatischer Symptome durch entsprechend geschulte Ärzte.
Zwischenfazit: Burn-out ist keine medizinische Diagnose im Sinne einer eigenständigen Krankheit, aber eine gesellschaftlich akzeptierte Bezeichnung für vorwiegend arbeitsbedingte psychische Probleme. Diese gab es bereits früher (man sprach beispielsweise von Nervenzusammenbruch, Neurasthenie, etc.). Die Zunahme der Burn-out-Diagnosen bzw. der Fehlzeiten hat verschiedene Ursachen (insbesondere sensiblere Diagnostik, Verschiebung im ärztlichen Diagnosespektrum, offenerer Umgang mit der Thematik).
Ein Vernachlässigen der Thematik scheint gefährlich: Die durch Präsentismus verdeckte „Dunkelziffer“ dürfte hoch sein. Dabei ist es zu einseitig, die Krankheitszunahme allein der veränderten Arbeitswelt zuzuschreiben. Trotzdem bleibt gerade im beruflichen Kontext die Thematik Burn-out bedeutsam – auch vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen und tendenziell steigender Belastungen.
Wichtiger als eine konkrete Diagnosebezeichnung – das Unternehmen bzw. die Führungskraft erfährt sie in der Regel nicht – ist, dass inzwischen bei vielen Mitarbeitenden eine Beanspruchungsgrenze erreicht ist, die zu gesundheitlichen Problemen führt. Richten wir daher den Blick auf mögliche Lösungen.
Behandlung bzw. Abhilfe im Arbeitskontext
Einige Unternehmen haben noch kein ganzheitliches Gesundheitsmanagement. Dabei geht es bei der Thematik „Work-Life-Balance“ nicht um ein weiteres vermeintliches „Modethema“: Der Zusammenhang zwischen Work-Life-Balance und Burn-out ist seit Längerem belegt (vgl. bspw. Collatz et al., 2012). Stärkste Risikofaktoren für Burn-out sind demnach abweichende berufliche Werte bzw. Ziele, schlechte Konstitution und mangelndes Gesundheitsverhalten, mangelnde soziale Unterstützung (durch Freunde, Familie, etc.) sowie die mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Daneben erhöhen als belastend empfundene persönliche Lebensbereiche das Risiko für Burn-out.
Burn-out resultiert nicht allein durch hohe Arbeitsanforderungen, durch eine mangelnde Passung von Mitarbeiter und Arbeitsplatz oder durch allein von den Mitarbeitenden zu vertretenden Gründen. „Vorteil“ der komplexen Zusammenhänge: Sie bieten auf mehreren Ebenen Handlungsoptionen zur Reduzierung von Burn-out:
- Unternehmen: Betriebliches Gesundheitsmanagement, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wertschätzende Führung, …
- Mitarbeitende: Überprüfung der Passung der eigenen Fähigkeiten und Wertvorstellungen mit der Arbeitssituation, Stärkung der Ressourcen, Ausgleich von Belastungen (z.B. Erholung, gezielte Lebensbalance), Schaffen bzw. Erhalt eines stabilen Netzwerkes, Sport, gesunde Ernährung, …
- soziales Umfeld: Schaffen bzw. Erhalt eines stabilisierenden bzw. unterstützenden Freundes-/Bekanntenkreises, …
Somit können Mitarbeitende, Führungskräfte und Unternehmen gemeinsam zur Verbesserung beitragen. Konkrete Beispiele:
Mitarbeiterebene: Als grundsätzliche „Sofortmaßnahme“ kann hilfreich sein, den Druck eigener innerer Antreiber („du musst das schaffen“) zu reduzieren. Zudem kann man zu weiteren Aufgaben begründet auch freundlich und bestimmt „Nein“ sagen.
Burn-out ist kein Grund, sich zu schämen bzw. zurückzuziehen. Vielmehr erhöhen Gespräche mit geeigneten professionellen Ansprechpartnern die Chance auf positive Veränderungen. Hilfreich kann auch die Vereinbarung eines (zeitlich befristeten) „Downshifting“ – also ein bewusstes Kürzertreten im Berufsleben – sein.
Führung: Der Einfluss des Führungsverhaltens auf die Mitarbeitergesundheit ist belegt. Schwierig wird es, wenn Führungskräfte bei vorliegenden Krankheitssymptomen – entgegen der eigentlichen betrieblichen Haltung – noch zusätzlich Druck auf Mitarbeiter ausüben. Hilfestellung für den angemessenen Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern können u.a. praxisorientierte Leitfäden bieten.
Meiner Meinung nach existiert jedoch weniger ein Wissens- als ein Umsetzungsdefizit. Daher bieten entsprechend konzipierte Maßnahmen (handlungs- und erfahrungsbasierte Workshops, Coaching, etc.) die Möglichkeit, das eigene Führungsverhalten zu reflektieren und mehr Sicherheit im Erkennen von Symptomen und im angemessenen Umgang mit betroffenen Mitarbeitern zu erlangen.
Bei der Vielzahl der Erwartungen bzw. Anforderungen an die (selbst gewählte) Führungsrolle sollten Führungskräfte natürlich auch ausreichend an sich denken und auch sich selbst wertschätzend und gesund führen.
Unternehmen: Generell sollte eine Gesundheitskultur im Unternehmen geschaffen werden. Die Bemühungen im Bereich des (nicht selten primär durch Arbeitsschutz-Bestimmungen geprägten) Betrieblichen Gesundheitsmanagements sind ausbaufähig. Bedenken wegen des Verwaltungs- bzw. Kostenaufwands sind unbegründet: Der „return on investment“ beträgt ein Vielfaches (vgl. u. a. Schwenker, 2012).
Hinsichtlich Verankerung und Entwicklung der Gesundheitskultur (inklusive entsprechender Führungskultur) kommt neben der Geschäftsleitung bzw. den Führungskräften auch dem Personalmanagement eine tragende Rolle zu. Konkrete Handlungsfelder sind beispielsweise (vgl. Osterspey et al., 2013):
- Unternehmenskultur: Überzeugung, dass wirtschaftlicher Erfolg dauerhaft nur mit motivierten und leistungsfähigen Mitarbeitern erzielbar ist; Schaffen bzw. Weiterentwicklung einer Vertrauens-, Feedback- und Konfliktkultur
- Zielsystem: Vermeidung von unrealistischen Zielen mit potenziell negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten
- Organisation: Gestaltung einer Aufbau- und Ablauforganisation, die – z.B. hinsichtlich Führungsspanne oder übergreifende Zusammenarbeit – gesundheitliche Aspekte berücksichtigt bzw. Fürsorge gewährleistet
- Personalmanagement: Verankerung von Gesundheitsaspekten bereits in Einarbeitungsprogrammen, entsprechende Einsatz- bzw. Arbeitszeitmodelle, Aufnahme der Förder- bzw. Fürsorgeverantwortung als Beurteilungskriterium für Führungskräfte, Vermeidung kurzfristiger bzw. „negativer“ Ziele (z.B. (vermeintliche) Senkung Absentismus durch noch ungünstigeren Präsentismus), stärkere Integration von Gesundheitsthemen in die Führungskräfteentwicklung, konsequentes Vorgehen gegen kulturinkompatible Führungskräfte.
Ergänzende Aspekte
Nur kurz angemerkt sei, dass auch andauernde Unterforderung krank machen kann. Man spricht dann von „Bore-out“, der ebenfalls die Gesundheit stark beeinträchtigt.
In den letzten Jahren hat „Resilienz“ an Bedeutung gewonnen. Vereinfacht ausgedrückt geht es dabei um die Stärkung der Widerstandsfähigkeit. Entsprechende (Trainings-)Maßnahmen können grundsätzlich förderlich sein. Sie dürfen jedoch nicht dazu verleiten, die Ursache (im Sinne vermeintlich mangelnder Belastbarkeit) allein den Betroffenen zuzuschreiben und die Veränderung unzuträglicher Arbeitsumstände zu vernachlässigen.
Und es gibt weitere wichtige Gesundheitsthemen wie beispielsweise die Alkohol- bzw. Suchtthematik. Sie scheint durch die aktuellere (und berechtigte) Diskussion rund um Pandemiefolgen, Burn-out, Work-Life-Balance etc. etwas in Vergessenheit geraten zu sein. Nach Expertenschätzungen betreiben bis zu ca. 10 % der Beschäftigten (über alle Ebenen) einen riskanten bzw. schädlichen Suchtmittelkonsum. Zudem kann Burn-out mit hohem Alkohol- bzw. Medikamentenkonsum einhergehen. Betriebliche Suchtprävention bietet jedoch wenig „Profilierungschancen“ und ist daher häufig unbeliebt.
Fazit
Es lohnt, dem Umsetzungsdefizit in Sachen Gesundheit in Unternehmen entgegenzuwirken. Gesundheitsthemen haben auch wegen der demografischen Veränderungen (Nachwuchsmangel, älter werdende Belegschaft mit tendenziell längeren Fehlzeiten und Tendenz zum früheren Austritt aus dem Berufsleben etc.) und daraus resultierenden Belastungen weiterhin große Bedeutung. Und aus Personalmarketing-Perspektive sind der Zufriedenheits- bzw. Bindungsfaktor und die positive Außenwirkung betrieblicher Gesundheitsaktivitäten zu erwähnen.
Management und Unternehmens- bzw. Führungskultur spielen ebenfalls eine zentrale Rolle. Führungskräfte haben bereits aufgrund ihrer Funktion als „erste/r Personalentwickler/in vor Ort“ die Aufgabe, ihre Mitarbeiter zu fördern und auf mögliche Über- und Unterforderung zu achten. Darüber hinaus haben sie die Verantwortung, angemessen Fürsorgegespräche zu führen. Dabei geht es nicht um richtige Diagnose bzw. Therapie, sondern um Achtsamkeit, rechtzeitige wertschätzende Ansprache bzw. Klärung von wahrgenommenen Veränderungen und die gemeinsame Vereinbarung entsprechender Ziele und Maßnahmen. Trainings- und Coaching-Maßnahmen sowie kollegialer Austausch können Führungskräfte darauf vorbereiten bzw. dabei unterstützen.
Ausgewählte Literatur
Bundespsychotherapeutenkammer (Hrsg.) (2021): Psychische Belastung hat während des zweiten Lockdowns zugenommen, online unter https://www.bptk.de/psychische-belastung-hat-waehrend-des-zweiten-lockdowns-zugenommen/ (letzter Abruf 5.03.2022)
Collatz, A., Conrads, S. (2012): Gleichgewicht als Chance: Wie die Work-Life-Balance vor Burnout schützt, Wirtschaftspsychologie aktuell 4/2012, S. 13-16
Deutsche Gesellschaft für Personalführung DGFP (Hrsg.) (2014): Work-Life-Balance [DGFP Praxispapier 1/2014], online unter https://www.dgfp.de/fileadmin/user_upload/DGFP_e.V/Medien/Publikationen/Praxispapiere/201401_Praxispapier_Work-Life-Balance.pdf (letzter Abruf 5.03.2022)
Janker, B., Waitz, M. (2019): Was ist das Burnout Syndrom?, online unter https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/psychische-erkrankungen/burnout-syndrom-2016416 (letzter Abruf 5.03.2022)
Nelting, M. (2017): Schutz vor Burn-out. Ballast abwerfen – kraftvoller leben. Entschleunigung im modernen Arbeitsalltag, München: Goldmann
Osterspey, A., Thom, N. (2013): Wie sich in einem Unternehmen eine Gesundheitskultur verankern lässt, PERSONALquarterly 01/13, S. 40-45
Schwenker, B., Wittig, M. (Hrsg.) (2012): Betriebliches Gesundheitsmanagement [think: act CONTENT der Roland Berger Strategy Consultants Holding GmbH]
Dieser Beitrag wurde ursprünglich online auf dem „Dotzauer-Blog“ veröffentlicht. Seit 2012 informierte der Dotzauer-Blog über HR/Personalmanagement, Führung, Changemanagement und Karriere. Anfang 2022 verzeichnete der Blog weit über eine Viertelmillion Seitenaufrufe. Der separate Blog existiert nicht mehr. Ausgewählte Blogbeiträge wurden jedoch 2022 – in Teilen überarbeitet bzw. aktualisiert – in diese Website integriert. Bei Fragen, Anmerkungen etc. können Sie sich gerne an den Autor wenden.